Norngard

 

Ritterlehen Norngard

Norngard ist ein ärmliches Ritterlehen im Westen des Königreichs Middenfelz, dessen Ursprung auf die Besiedelung Engoniens durch die Ur-Caldrier zurückgeht. Bekannt ist Norngard für die bewegte Familiengeschichte der //Norngarder//, den Export von Torf und die starke Verbundenheit zur Göttin Nedra.

Geographie

Die Ländereien des Hauses Norngard liegen im nördlichen Teil der Baronie Salmar und umfassen den Großteil des Gebietes, das vor der Expansion der Ur-Caldrier dem alten andarranischen Stamm der Norngarder gehörte. Sie beginnen in den nördlichen Ausläufern der salmarschen Marschen und reichen nach Norden hin bis an die felsigen Klippen der Bucht von Turan. Im Westen grenzt das Lehen Norngard an die Ländereien des Fürsten Middenfelz, während im Osten der nördliche Teil des Japal Sees sowie der Fluss Sogur eine natürliche Grenze zwischen dem Land der Norngarder und der angrenzenden Provinz Andarra bilden.

Besondere Orte in Norngard

Burg Norngard

Der Sitz des Hauses Norngard ist die Burg Norngard, die in der südöstlichsten Ecke der eigenen Ländereien direkt am Ufer des Japal Sees steht. Wo einst grüne Wiesen und dichte Wälder reichten, soweit das Auge zu blicken vermochte, wird die Feste nun von einem moorigen Sumpfland umgeben. Im Laufe der Generationen begann die Burg somit auch im Morast einzusacken, wodurch ein Teil der Burg baufällig geworden ist. Man munkelt dies sei die Strafe Nedras dafür, dass sich die Ritter Norngards von ihr abgewendet haben und nun Tior folgen.

Der Wald Norn

Der Wald Norn ist ein uralter Forst, der schon den Andarranern vor der Besiedelung dieser Ländereien durch die Ur-Caldrier heilig war. In seinem Herzen befand sich einer der wichtigsten Tempel Nedras, der Tempel der roten Hirsche. Es war Männern verboten den Wald zu betreten, bei Frauen dagegen zu Zeiten der Andarraner Tradition, den Tempel aufzusuchen um dort ihre Kinder unter der Hilfe der Priesterinnen zur Welt zu bringen. \\ Im zweiten Brüderkrieg begingen die Soldaten des Lupus Umbra das Sakrileg den Wald zu betreten, den Tempel niederzubrennen und die Priesterinnen abzuschlachten.\\

Wirtschaft in Norngard

Die Fläche des Lehens Norngard umfasst etwa 14km². Ein ungewöhnlich großes Gebiet für ein Ritterlehen, doch relativiert sich dies, wenn man bedenkt, dass gut ein Drittel des Landes aus Sümpfen und Mooren besteht. So verwundert es auch niemanden, dass die Landwirtschaft im südlichen Teil Norngards bei weitem nicht so ergiebig ist wie im Norden, denn hier breiten sich die Moore immer weiter aus. Dies verlangt von den Bauern hier viel harte Arbeit, um ausreichend Ernte einzubringen, damit der Zehnt geleistet werden kann und am Ende auch noch genug übrig bleibt, damit die Familie im Winter keinen Hunger leiden muss. Besser ergeht es hier den Torfstechern, die im Dienste derer von Norngard in die Moore ziehen und dem alten Rittergeschlecht einen bescheidenen Wohlstand erwirtschaften, da es im ganzen Reich einen hohen Bedarf an Torf gibt, das als Brennmaterial stark gefragt ist. Von den einstmals dichten Wäldern Norngards sind nur noch wenige Forste übrig geblieben, deren Bestände Generation für Generation weiter schwinden, um mehr Platz für Ackerland zu schaffen. Dazu trägt das geringe Interesse der Herren von Norngard an der Jagd bei. Einzig der Wald Norn, in dessen Mitte sich Nedras Tempel der Roten Hirsche befindet, wird nicht angetastet. Allerdings würde es niemand wagen, hier zu jagen oder Holz zu schlagen, denn die Jagd in diesem Walde ist das alleinige Vorrecht der Dienerinnen Nedras und die Bäume ihr heiliger Besitz.

Religion

Die Norngarder glauben mit Ausnahme von einzelnen Individuen, die in diesen Zeiten sehr selten geworden sind, an das engonische Götterpantheon. Die Herren von Norngard verehren, wie im Fürstentum Middenfelz üblich, mit besonderer Inbrunst den Kriegsgott Tior, dem zu Ehren ein Tempel in Burg Norngard steht. Die einfachen Menschen richten wie in allen zivilisierten Teilen Engoniens ihre Gebete an die volksnahen Göttinnen Lavinia und Naduria, aber insbesondere auch an die Göttin Nedra, die hier geschichtsbedingt eine lokale Verehrung genießt. Ihr zu Ehren wurde vor vielen Generationen der Tempel der Roten Hirsche im Walde Norn errichtet.

Wappen Norngards

Das alte Wappen Norngards zeigte einen goldenen steigenden Hirsch auf Grün-Schwarz gevierteltem Grund und erinnerte damit stark an das Provinzwappen Andarras, das einen goldenen steigenden Hirsch auf grünem Grund zeigte. Aufgrund der diversen Schicksalsschläge der vergangenen Jahre gibt es heute keinen rechtmäßigen Erben und Träger des alten Wappens, so dass nun das Wappen des Lupus Umbra über den Toren der Burg Norngard hängt. Tannjew, zweitgeborener Sohn des letzten Ritters von Norngard, bekräftigt aus seinem Exil in Caer Conway seinen Anspruch auf Titel und Lehen und ließ verkünden, das Wappen Norngards sei fortan neu gestaltet: Blau und Weiß geviertelt, wobei weiß die Herzfarbe sei. Im weißen Felde über dem Herzen befinden sich zwei blaue Sparren, die Tannjews Verbundenheit zu den beiden Flüssen Ahr und Sogur symbolisieren solle. Die beiden blaue Felder tragen jeweils einen goldenen Hirsch, steigend, als Anlehnung an die Gründungsgeschichte des Hauses Norngard und zur Ehre der Göttin Nedra. Das leere weiße Feld jedoch symbolisiere den Neuanfang, den er einleiten wolle.

Die Geschichte Norngards

Norngard hat eine lange und bewegte Geschichte. Dies ist der Versuch, einige wichtige Ereignisse der Vergangenheit für die Nachwelt festzuhalten.

Gründung des Hauses Norngard (ca. 280 v.J.)

Der eigenen Familienchronik zufolge beginnt die Geschichte des Hauses Norngard in jener Zeit, als die ersten Gerüchte über ein fremdes Volk auftauchten, das über das Meer gekommen sei. Damals herrschten viele verschiedene andarranische Klans über die östlichen Gebiete des heutigen Engonien, doch war diese Zeit bestimmt von Kämpfen untereinander um die fruchtbarsten Gebiete und das beste Weideland, so auch um die grünen und dichtbewaldeten Gebiete westlich des Japalsees. Um das Heimatland seines Klans zu verteidigen zog der Stammesfürst Artheon vom Volk der Illey mit seinen Mannen aus, um die Eindringlinge des verfeindeten Klans vom Volk der Torana zu vernichten. Diese hatten jedoch eine Hinterlist geplant. Während sich die feindlichen Toraner langsam vor Artheon zurückzogen kamen deren Stammesführer Argwyn und seine auserwählten Krieger aus ihrem Versteck und griffen Artheons Heimatdorf an, gnadenlos Alte, Frauen und Kinder niederschlachtend. Artheons Frau Briana, hochschwanger, floh vor den feindlichen Häschern, wohl wissend, dass man sie und ihr Kind nicht leben lassen würde, und drang tief in den Wald Norn ein, um sich dort im Unterholz zu verstecken. An einer klaren Quelle angekommen brach sie von all ihren Kräften verlassen unter Schmerzen zusammen, die Wehen hatten eingesetzt. Während sie da lag, immer häufiger von den Geburtsschmerzen überwältigt, erkannte sie ringsum die Überreste alter Gemäuer, zahlreich verziert mit Darstellungen von Tieren, unter denen die Reliefs von großen roten Hirschen besonders hervorstachen. Doch diesem Anblick konnte sie sich nicht lange widmen, denn während sie ihr Kind gebar hörte sie die Stimmen der näherkommenden Häscher, und so flehte sie voller Angst und im Stillen zu den Göttern, sie mögen ihr Leben und das ihrer Tochter, denn das Neugeborene war ein Mädchen, beschützen. Nedra, die Göttin des Waldes, musste sich ihrer erbarmt haben, denn stolz erhobenen Hauptes erschienen zwei große Hirsche an der Wasserstelle, deren goldenes Fell ein warmes Licht verströmte. Sie verbeugten sich vor der jungen Mutter und ihrer Tochter und wandten sich dann den feindlichen Häschern zu, die gerade in diesem Augenblick das Unterholz durchbrachen. Die goldenen Geweihe gesenkt und von Donnergrollen begleitet stürmten die Hirsche los. Argwyn und ein jeder seiner Mannen, die nach dem Leben der wehrlosen Mutter und ihres Kindes getrachtet hatten, fielen dieser Wilden Jagd zum Opfer. Am folgenden Tage schleppte Briana sich und ihr Kind zurück zum Heimatdorfe, wo Artheon, siegreich von der Schlacht zurückgekehrt, voller Freude die beiden in die Arme schloss, hatte er doch das Schlimmste befürchtet. Briana erzählte ihrem Gatten von ihrer Flucht und ihrer Rettung durch Nedras Diener. Der Göttin dankbar ließen Artheon und Briana an jener Wasserstelle im Walde Norn den Tempel wieder neu errichten und nannten ihn in Anlehnung an die bezaubernden Reliefs „Tempel der Roten Hirsche“. Schließlich schworen die beiden, dass ihr Geschlecht für alle Zeiten Nedra in Ehren halten und ihr dienen sollte sowie diesen Wald und den Tempel für immerdar beschützen würde. Fortan waren sie als die Norngarder bekannt. Ihrer Tochter gaben Artheon und Briana den Namen Nevena und sie gelobten, dass Nevana die erste Hohepriesterin Nedras im Tempel der Roten Hirsche werden sollte.

Maranwe – Bestimmung (ca. 250 v.J.)

Sommer kamen und gingen, ohne dass es Angriffe von Seiten der Torana gab, denn die Klans stritten untereinander, wer die Nachfolge von Argwyn antreten sollte. Diese Jahre des Friedens nutzte Artheon, in dem er den Bau einer Burg befahl, damit man auf bevorstehende Angriffe besser vorbereitet sei. Die besten Steine, die aus weiter Ferne herangeschafft wurden, ließ er jedoch für den Wiederaufbau der alten Tempelanlage im Walde Norn verwenden, und schon bald folgten die ersten Priesterinnen dem Ruf ihrer Göttin zum Tempel der Roten Hirsche, der wie der heilige Baum knospend zum Leben erwachte. In jenem Frühjahr in dem Nevena alt genug war, um zu den Priesterinnen Nedras zu gehen und als Novizin in die Dienste der Göttin zu treten, begleitete Briana ihre Tochter zum Tempel der Roten Hirsche, denn sie war wieder guter Hoffnung. Einen Mondlauf später kam sie nieder und schenkte ihrem Gatten Artheon zwei Söhne: Die Zwillinge Gwenwyn und Dagnir. Jahre vergingen und so wie Nevena von den Priesterinnen auf ihre Bestimmung als Hohepriesterin vorbereitet wurde unterrichtete Artheon seine Söhne, denn Gwenwyn sollte einst an seiner statt über Norngard herrschen und Dagnir sollte seinem Bruder helfen das Land gegen alle Feinde zu verteidigen.

Immer wieder gab es vereinzelte Angriffe der Torana, doch größeres Kopfzerbrechen bereitete Artheon der Strom der fremdländischen Siedler die aus dem Osten kamen und immer häufiger, Norngard durchquerend, um Unterkunft und Hilfe baten. Im Ungewissen, was dies für ihn und sein Volk zu bedeuten hatte, entschied sich Artheon, seine Söhne zum Orakel von Isi zu schicken, damit sie dort die Antworten auf seine Fragen erhalten sollten. So machten sich Gwenwyn und Dagnir auf die gefährliche Reise, denn sie mussten das Land der Torana durchqueren, durch die Japalsümpfe vorbei am Ottersee bis hinter den Wald der Elfen zum Schwarzwassersee. Die Göttin Nedra segnete ihre Wege und so fanden sie sicher zum uralten Orakel von Isi, wo sie nach Tagen des Wartens endlich zu den heiligen Säulen vorgelassen wurden, wo sie dem Orakel die Fragen ihres Vaters stellen konnten. „Sie sind die Wölfe, die das Feuer nicht fürchten, denn das Feuer ist ihr Vater. Wendet Norngard sich gegen sie, wird Bruder den Bruder zu töten trachten, Nedras Tempel wird brennen und Angst und Schrecken werden unter den Menschen wandeln,“ sprach das Orakel. Dann führte die Tempeldienerin die beiden Brüder hinaus, die sich ohne Umschweife auf die Heimreise machten, um Artheon von den Worten des Orakels zu berichten.

Im Laufe ihrer Heimreise durchquerten sie einen Forst, dessen Schatten dunkler zu sein schienen als gewöhnlich und in dem das Fehlen jeglicher Geräusche, sei es vom Wind im Blätterdach oder von den Tieren, den beiden Brüdern einen Schauder über den Rücken jagte. Sie blickten sich fragend an, denn beide spürten, dass etwas im etwas nicht stimmte. Den Atem innehaltend griffen sie ihre Speere fester und lauschten gebannt. Plötzlich war da Geräusch: Ein Röhren, ein Schmerzensschrei abseits der Wege. Sie sprangen durch das Dickicht des Unterholzes und gelangten zu einer kleinen Lichtung, doch mit dem Anblick, der sich ihnen darbot, hatten sie nicht gerechnet. Die Lichtung war augenscheinlich der Schauplatz eines Kampfes geworden. Zwischen den niedergetrampelten Setzlingen und Sträuchern lag ein großer goldener Hirsch, dessen Brust sich noch langsam hob und senkte. Aus seiner Seite ragte das Heft eines Schwertes, dessen Parier die Köpfe von Hirschen zeigte. Der Träger des Schwertes lag nur wenige Schritte entfernt im Gras, auf das übelste zugerichtet. Gwenwyn schrie auf als er dort das heilige Tier der Göttin Nedra verletzt liegend sah und ehe Dagnir ihn aufhalten konnte war er schon bei dem Hirsch angelangt und zog die Klinge aus der Wunde. Genau in jenem Augenblicke machte das Wesen eine schreckliche Verwandlung durch, die nur wenige Wimpernschläge dauerte. Aus dem stattlichen Hirsch formte sich die Gestalt einen Hünen, das goldene Fell löste sich auf und zerriss, um eine Kluft aus dunkelbraunen und schwarzen Stoffen zu offenbaren, hier und dort verziert mit Knochen, Klauen und Fellstücken. Am furchteinflößensten war das Haupt der Gestalt, denn wenn auch das Gesicht in den schwarzen Schatten der Kapuze versteckt blieb, glühten finster zwei gefühllose Augen verachtungsvoll herab, und über allem thronte ein verwachsenes und verdrehtes Geäst aus Horn, das wie der Hohn eines Geweihs wirkte. Eine unmenschliche Klaue schnellte aus den Schatten hervor, packte Gwenwyn am Hals und hob ihn hoch, während um die beiden herum das braune Laub von einem geisterhaften Wind heftig heraufgewirbelt wurde und einem Nebel gleich die Sicht versperrte. Dagnir sprang los, um seinem Bruder zur Hilfe zu eilen, doch das knirschende Geräusch brechender Knochen vernehmend wurde er vom Leib seines Bruders getroffen, den der Hüne so mühelos nach ihm geschleudert hatte, wie wenn ein Kind eine Puppe achtlos in die Ecke wirft. Er schob Gwenwyn von sich und wollte ihn zur Flucht auffordern, doch er blickte nur in die teilnahmslosen Augen eines Toten und ein tiefer Schmerzensschrei entwand sich Dagnirs Kehle. „Oh, welch poetische Gerechtigkeit schenkt mir mein Herr, welch Gnade lässt er mir wiederfahren, dass er mir ausgerechnet Kinder Nedras zur Rettung schickt,“ dröhnte das Scheusal und lachte donnernd, während um ihn herum noch immer das Laub herumwirbelte, als sei es in einem Sturm gefangen. Unvermittelt brach das Lachen ab und die Gestalt schrie in den Wald: „Nedra, hörst du mich? Fürchte dich! Denn nichts ist vergeben, mein Schwur bleibt bestehen! Ich werde dich finden! Und nicht eher will ich ruhen, bis mein Speer dein Herz durchbohrt hat und ich das Licht in deinen Augen erkalten sehe!“ Mit einem kalten Lachen verschwand der Dunkle Jäger inmitten des tosenden Sturms, der ihn umgeben hatte, in die Tiefen des Waldes und der Spuk war vorbei. Dagnir, dessen Verstand unter der Last dieses Schauspiels zusammen gebrochen war, verblieb noch bis zum nächsten Morgengrauen regungslos an Ort und Stelle bei seinem toten Bruder. Erst bei Sonnenaufgang dämmerte es ihm langsam, wessen unheiligen Wirkens Zeuge er geworden war. Es musste der Dunkle Jäger gewesen sein, der ihn und Gwenwyn getäuscht hatte und den sein Bruder unfreiwillig gerettet hatte. Dagnir betrachtete das Schwert, das immer noch fest in der Hand Gwenwyns lag, das Schwert, das dem dunklen Jäger solche Pein bereitet hatte, und nahm es an sich. Es sollte Wochen dauern bis er endlich heimgekehrt war und seinen Eltern gramgebeugt die traurige Botschaft vom Tode ihres geliebten Sohnes überbringen konnte, und ganz Norngard verfiel in Trauer. Artheon, Briana und Dagnir gingen zum Tempel der Roten Hirsche, um Nevena, mittlerweile Hohepriesterin, vom Geschehen zu berichten. Nevena hörte aufmerksam zu, ohne Anzeichen von Emotionen erkennen zu lassen, selbst dann nicht, als Dagnir schilderte, wie der Dunkle Jäger die Göttin verfluchte und frei von dannen zog. Dann ließ sie sich das Schwert zeigen, das deutlich die Zeichen Nedras trug. „Dies ist das Schwert Maranwe,“ sprach sie sanft. „Das Wort das in unserer Besprache der Bedeutung von Maranwe am nächsten kommt lautet Bestimmung. Maranwe wurde vom Alten Volk unter heiligen Gesängen zu Ehren Nedras aus kaltem Eisen geschmiedet, das die Götter als Gabe vom Himmel geschleudert hatten. Es ist kein Zufall, dass Maranwe hier ist. Es ist Bestimmung, dass du es erhalten solltest, Dagnir, und nach dir dein Sohn, und nach ihm sein Sohn. So ist es Nedras Wille.“

Der Goldene Hirsch (ca. 205 v.J.)

Die Jahre gingen ins Land und Artheon übergab seinem Sohn Dagnir die Herrschaft über Norngard. Dieser heirate ein Weib aus dem Volk der Torana, auf das endlich Frieden einkehren sollte zwischen den Klans. Bald schon schenkte sie ihm einen Sohn und sie nannten ihn Gwenwyn, zu Ehren seines verstorbenen Bruders. Doch der Frieden war nur von kurzer Dauer. Immer wieder wagten die eroberungswütigen Torana in Abständen von wenigen Jahren Vorstöße nach Westen, brandschatzend und mordend, um jedes mal aufs neue über den Fluss Sogur zurückgetrieben zu werden. Diese Angriffe fanden mit der legendären Schlacht am Tafelberg um etwa 205 v.J. ein Ende. An vorderster Front inmitten des Kampfgetümmels erblickte Gwenwyn, Artheons Enkel, den gefürchteten Klansherren der Torana, Cadrach den Bären, und trieb sein Ross durch die verkeilte Front, bis er an seinen Gegner herangekommen war. Diesem die Worte „Spüre Nedras Zorn!“ entgegenschmetternd streckte er Cadrach mit dem Schwert Maranwe mit einem Streich nieder und sicherte damit endgültig die Herrschaftsansprüche der Norngarder über die Gebiete westlich des Sogur. Nie wieder sollten Torana es wagen, den Fluss mit kriegerischen Absichten zu überqueren. Bei seiner Rückkehr zog es Gwenwyn zum Walde Norn, um im Tempel der Roten Hirsche die Göttin Nedra für ihren Beistand zu danken. Die Hohepriesterin erwartete ihn bereits im Hain bei den Wurzeln des heiligen Baume und lächelte huldvoll, als Gwenwyn ihr den Kopf Cadrachs vor die Füße legte, eingewickelt in das Fell eines Bären, des Tieres, dessen Kraft und Gunst der Agressor Cadrach in sich vereint sah. Die Hohepriesterin nahm die Gabe an und legte ihrerseits dem Herren von Norngard einen goldenen Umhang über Schultern als Zeichen dafür, dass Gwenwyn ein Begünstiger der Göttin sei. So geehrt kehrte Gwenwyn heim, wo er als der siegreiche „Goldene Hirsch“ gefeiert wurde. Dagnir erkannte, dass es nun Zeit war, die Herrschaft über Norngard an seinen Sohn zu übergeben. Von Burg Norngard aus herrschte Gwenwyn noch über 40 Jahre bis zu seinem Tod in hohem Alter friedlich über seine Ländereien. Zu Grabe getragen wurde er jedoch ohne den goldenen Umhang, denn dieser zerfiel genau in jenem Augenblicke, in dem Gwenwyn seinen letzten Atemzug tat, zu Staub. Das abergläubige Volk erzählt sich noch heute, der Umhang sei aus den Haaren von Nedras goldenen Hirschen gewebt worden und nur ein wahrhaft auserwählter Günstling der Göttin und Beschützer Norngards würde die Gnade erhalten, dieses Zeichen der Würde tragen zu dürfen.

Jahre des Wandels (ca. 160 v.J.)

Es folgten drei Generationen des Friedens und des aufkeimenden Wohlstandes. Nach Gwenwyns glorreichem Sieg brachten die Torana nie wieder den Mut auf westlich des Sogur zu plündern. Das Schwert Maranwe wanderte von Vater zu Sohn, die Töchter traten in den Dienst des Tempels der Roten Hirsche, Bauern bestellten ihre Felder und Hirten führten ihre Tiere auf die Weiden. Das Volk der Caldrier breitete sich im Westen aus, gründete Dörfer und baute schließlich Städte. Gwenwyn gedachte noch des Orakelspruches von Isi und beäugte dieses Fremde Volk mit Misstrauen, doch schon sein Sohn Cadell vergaß die Weissagung und ignorierte die Bedenken seines Vater. Er betrachtete die edlen Gewänder der caldrischen Kaufleute und hörte die Erzählungen von der gewaltigen Feste Donnerheim und Gier machte sich breit in seinem Herzen. Cadells Sohn Baelor wurde auf Wunsch seines Vaters von caldrischen Lehrern unterrichtet und so wundert es nicht, dass das Haus Norngard durch immer stärkere Bande mit den Caldriern verflochten wurde. Im gleichen Maße schwand die Verbundenheit zwischen dem Stammesfürsten der Norngarder und seinem Volk. Als Baelors Sohn Brenwyk letztendlich im richtigen Alter war gab ihn sein Vater einem caldrischen Ritter in den Knappendienst. Dieser kehrte Jahre später mit einer schweren Last heim. Er hatte die Macht der Caldrier gesehen, die unlängst begonnen hatten ihr Imperium mit Gewalt zu erweitern und erkannt, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Unterwerfung oder Untergang. Sein Vater wollte nichts davon hören, doch kurze Zeit darauf lag Baelor auf dem Sterbebett und Brenwyk sollte der neue Stammesfürst Norngards werden.

Abkehr von Nedra (ca. 95 v.J.)

Stammesfürst Brenwyk, Haupt der Norngarder um ca. 95 v.J., unterwarf sich früh aus freien Stücken den caldrischen Siedlern, die innerhalb kürzester Zeit zur vorherrschenden Macht in Engonien geworden waren, und erhielt daraufhin, wie es in jenen Zeiten üblich war, wenn ein Stammesfürst das Knie vor den caldrischen Eroberern beugte, als „Dank“ den Ritterschlag und seine Ländereien als Lehen. So konnten die Norngarder die Freiheit und die Herrschaft über ihre heimatlichen Ländereien behalten und entkamen einer späteren gewaltsamen Unterwerfung durch die Caldrier, wie sie die anderen Gebiete Andarras später ereilen sollte. Brenwyk verstieß Nedra als Hausgöttin und übernahm die Religion der Caldrier, deren Hauptgott zu diesen kriegerischen Zeiten Tior war, den er fortan inbrünstig verehrte. Tior zu Ehren ließ er auch einen Tempel innerhalb der Mauern der Burg Norngard erbauen. Auf seinen Willen geht der Brauch des Hauses Norngard zurück, den erstgeborenen Sohn dem Kriegsgott Tior zu weihen und von den Priesterin Tiors erziehen zu lassen, ehe dieser sein Erbe antreten darf. Brenwyks Weib Shannon fürchtete den Zorn Nedras, den ihr Gatte Brenwyk mit seinem Frevel auf sich gezogen haben musste, und rang ihm das Versprechen ab, das jede erstgeborene Tochter des Hauses Norngard in den Dienst an die Göttin Nedra im Tempel der Roten Hirsche treten sollte. Brenwyk willigte ein, doch konnte dies Nedras Zorn nicht vollends lindern: Bei einem Jagdausflug verunglückte Brenwyk tödlich und bis in die Gegenwart sind ungewöhnlich viele Herren Norngards Jagdunglücken zum Opfer gefallen. Auch die zunehmende Versumpfung des einstmals blühenden, von Wäldern bedeckten Landes rund um den Sitz des Hauses Norngard wird Nedras Zorn angelastet. Dennoch blieb bis in die Gegenwart jeder Ritter Norngards ein treuer Krieger Tiors, der das Versprechen seiner Ahnen an Nedra missachtete. Die Bevölkerung dagegen, aber auch die Frauen der Ritter von Norngard, hielten stets den Glauben an Nedra aufrecht, deren Tempel des Roten Hirsches in Norngard als einziger Tempel Nedras in Engonien die Kriege der Caldrier überstanden hat.

Der 1. Brüderkrieg (ca. 2 v.J.)

Im großen Brüderkrieg verteidigten die Norngarder als Caldrier ihre Heimat gegen die Pathagoräer, die das Land zu unterwerfen gedachten. Ritter Aelfwyn, Haupt des Hauses Norngard in jenen schicksalsträchtigen Jahren, erinnerte sich an die Erzählungen über Maranwe, das legendäre Schwert seiner Ahnen, und gedachte, dieses als Talisman im Kampf gegen die feindlichen Eroberer zu führen. So ritt er an der Seite seines Lehensherren, dem Baron von Salmar, in die Entscheidungsschlacht am Sogur, doch ohne den Segen der Göttin, deren Schwert er führte. Diese hatte den Eidbruch der Norngarder nicht vergessen, und auch Aelfwyn war ein Diener Tiors durch und durch, der nie den Namen der Göttin geehrte hatte, bis er sich an das Schwert erinnerte. So erlitt auch er den Zorn der Göttin. Die Klinge wollte seinem Willen nicht folgen und wog schwer wie Blei. Nur wenige Augenblicke, nachdem die beiden verfeindeten Heere aufeinander stießen, fiel Aelfwyn von Norngard aus dem Sattel, tödlich getroffen von einem einfachen Hieb, den er nicht zu parieren vermochte. Am Ende jener Schlacht wurde sein Leichnam geborgen und in der Familiengruft unter Burg Norngard zu Grabe getragen, der einzigen Kammer unterhalb der Burg, die nicht vom steigenden Grundwasser geflutet war. Das Schwert Maranwe jedoch wagte kein Norngarder mehr zu führen, zu sehr fürchtete man den Zorn Nedras.

Das Geschlecht derer von Norngard bis heute

Man sagt der Blutlinie von Norngard nach, seit ihrer Abkehr von der Göttin Nedra neigten die Männer zu Wankelmütigkeit und düsteren Stimmungen. Dieses Gerücht schien sich auch mit Burgolf, dem letzten amtierenden Herren auf Burg Norngard, zu bewahrheiten. Seit dem Tod seiner Gattin Brun im Jahre 239 n.J. soll er Burg Norngard nicht mehr verlassen haben. Nur wenige Jahre später verschwand auch sein zweitgeborener Sohn Tannjew, zu jener Zeit Knappe des Ritters Walter von Sangenwalde, spurlos bei einem Botenritt nach Salmar. Selbst Tannjews unerwartetes Auftauchen im Jahre 252 n.J. konnte sein Herz nicht mehr erwärmen. Seine Gram wuchs vielmehr noch mit dem Tod seines erstgeborenen Sohnes Alaron und der Tatsache, dass sich Tannjew vehement weigerte, den Orden des heiligen Jeldrik zu verlassen und Barad Konars Orden des Lupus Umbra beizutreten. Letztendlich fand Burgolf zur Mitte des Jahres 257 n.J. den Tod durch die Hand seines eigenen Sohnes Tannjew, wie der einzige Augenzeuge, seine kaiserliche Majestät Barad Konar, berichtete. Barad Konar, zu jener Zeit noch Baron von Salmar und Lehnsherr der Norngarder, ließ verkünden, dass Tannjew des Standes enthoben werde und erklärte ihn für vogelfrei. Tannjew, der die Tat leugnete und standhaft behauptet, seine kaiserliche Majestät Barad Konar sei der Mörder und habe ihn zu unrecht des Vatermordes beschuldigt, gelang die Flucht nach Lodrien, wo er im Kerker des Herzogs von Drachenfurt landete. Unter ungeklärten Umständen kam er von dort frei und führt nun in Andarra jene Widerständler an, die Barad Konar nicht als Kaiser Engoniens akzeptieren wollen. Tannjew beansprucht heute Norngard wieder für sich, doch zwischen ihm und seiner Forderung steht die Armee des Lupus Umbra, deren Ordensburg in der Baronie Salmar steht und die sich anschickt, die Provinz Andarra für ihren Kaiser mit Gewalt zu befrieden. Das Lehen Norngard steht mangels Erben unter der Verwaltung des Lupus Umbra, Burg Norngard wurde in diesen schweren Zeiten zum Sitz des Kaiserlichen Vogtes erklärt. Um die Identität dieses Wolfslords ranken sich zahlreiche Gerüchte. Fest steht, dass der Wolfslord zur Mitte des Jahres 257 n.J. Nedras Tempel der Roten Hirsch brandschatzen ließ und seine gedungenen Mörder weiterhin auf Tannjew angesetzt sind.