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Autor Thema: Ein Abschied.  (Gelesen 2149 mal)

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Offline Vanion

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Ein Abschied.
« am: 21. Jun 15, 21:59 »
Müde blickte Vanion auf ein trockenes Blatt Pergament, auf dem frische Tinte glänzte.
Die letzten Wochen hatten ihm immer und immer wieder zu Grübeln gegeben - sollte er seinen Onkel töten, oder Lorainne aufgeben? Eine Lösung hatte sich nicht ergeben. Stets verriet er eine Seite, was immer er tat, er konnte nur verlieren. Welcher seiner Familien war wirklich die Seine? Seine Blutsverwandten, die er nicht kannte? Die Männer und Frauen aus Lorainnes Gefolge? Oder doch seine Mutter und seine Schwestern, die Bachlaufs?

Innige Gebete und viele Gespräche hatten nur einen Ausweg gezeigt. Blutsverräter? Oder doch Lorainne verraten? Die Ideale, die ihm im Bürgerkrieg stets leuchtend erschienen waren, hatten sich eines nach dem anderen als falsch und leer herausgestellt. Allen voran die Ehre. Das höfische Leben, das Vanion kennengelernt hatte, hatte sich als Spinnennetz aus Absichten der Mächtigen entpuppt.

Sein Blick fiel wieder auf das Pergament. Es enthielt alles, was andere brauchen würden. Sein Verzicht auf Roquefort, auf die Vormundschaft für Leah de Roquefort, die Tochter Savarics. Sollte seine Abstammung irgendwann bewiesen werden, würde diese Dokument wichtig werden.

Er holte tief Luft. Vanion wusste nur zu gut, dass er das Andenken Silas' beschmutzte. Der Mann hatte sein Leben für ihn gegeben, und nun stand Vanion im Begriff, das zu tun, was viele als Feigheit auslegen würden. Doch er faltete nur still und ordentlich das Pergament. Den Ring, den ihm Isabeau de Lionceur gegeben hatte, legte er fein säuberlich in den enstandenen Behälter. Dann griff er nach einer Kerze und tropfte Wachs auf die Kanten. Er hatte keinen Siegelring, woher auch?

Als er Lorainnes Gemach betrat, verließ ihn fast der Mut. Zu weit waren sie gekommen, zu weit, um nun alles zerbrechen zu lassen, doch er hatte keine Wahl.

"Lorainne de la Follye des Joux, ich bitte darum, von meinem Knappeneid entbunden zu werden. Der Weg, den wir beschreiten, zwingt mich dazu, entweder Euch oder meine Blutsverwandschaft zu verraten. Savaric ist mein Onkel, und Teil an seinem Tod zu haben macht mich zum Mörder vor den Göttern. Doch genauso macht es mich zum Verräter, gegen Euch zu handeln. Ich möchte in mein altes Leben zurückkehren. Vanion Bachlauf sein."
"LARP ist nicht ein Hobby, es sind mindestens acht oder so. Ich betreibe etwa fünf davon." RalfHüls, LarpWiki.de

Mel

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Re: Ein Abschied.
« Antwort #1 am: 21. Jun 15, 22:08 »
Als Lorainne den Brief fand, war Vanion schon weit entfernt.

Behutsam faltete sie den Bogen auseinander und las.
Wie erstarrt stand sie da. Keine Regung in ihrem Gesicht.

Sie hatte es befürchtet. Jeden Tag war sie mit dem Gefühl aufgestanden, dass Vanion sie verlassen würde. Aus einem Gefühl war eine Ahnung geworden. Und jetzt wurde sie Gewissheit.

Sie hätte sich gewünscht, dass er sich wenigstens verabschiedet hätte.


Offline Vanion

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Re: Ein Abschied.
« Antwort #2 am: 21. Jun 15, 22:16 »
Über Wochen war er geritten, bis nach Reichsfeld hinunter. Seine Familie war wohlauf, und sie freuten sich, ihn wieder zu sehen. Vanion erzählte, was geschehen war, und nahm sie wieder mit. Zurück nach Tangara, in den Hof vor Fanada. Dort würde er bleiben, zu seinem alten Leben als Bauer zurückkehren.

Die ersten Wochen vergingen langsam. Seine Axt wurde rostig, und die Arbeit mit dem Pflug wurde ihm wieder geläufiger. Abends betete er nicht länger. Lorainne würde den Brief als Verrat auffassen, sie würde nicht verstehen, was ihn bewegt hatte. Er vermisste seine Freunde, aber denen konnte er wohl nicht mehr unter die Augen treten.

Auf der anderen Seite war er erleichtert.
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Offline Vanion

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Re: Ein Abschied.
« Antwort #3 am: 22. Jun 15, 11:10 »
Nach und nach vermisste Vanion das Umherziehen auf den Straßen Engoniens. In den letzten Jahren war er selten länger als ein paar Tage am selben Ort gewesen, und nun war er hier. An dem Ort, von dem es ihn fortgezogen hatte, vor sieben, acht Jahren. Vieles hatte sich verändert - sein Vater war mittlerweile gestorben, und auch die Familien der Nachbarn hatten sich verändert.
Die Grubers hatten drei kleine Kinder, und der alte Gruber war verstorben. Der alte Schuster hatte sein Geschäft an seinen Sohn weitergegeben und verbrachte nun jeden Abend in der Kneipe und besoff sich hemmungslos; seine Frau kümmerte sich nicht darum. Vanions Schwestern waren erwachsen geworden (nun, bis auf die Kleinste. Die war grade mal fünf Jahre alt), und seine eigene Tochter tollte mit seinen Schwestern herum.

Als er Jeanne wiedergesehen hatte, war ihm klar geworden, was er verpasst hatte. Sie war fast drei Jahre alt, und er hatte sie vielleicht ein, zwei Male im Jahr gesehen. Als sie ihn begrüßt hatte und ihn "Papa" genannt hatte, waren ihm Tränen der Rührung über die Wange geflossen. Seine Mutter hatte seiner Tochter immer und immer wieder von ihrem Vater erzählt. Einige seiner alten Saufkumpanen gab es immer noch. Der Müllerssohn Timm war mittlerweile ganz anständig, hatte geheiratet und seine Frau war das erste mal schwanger. Marlon, der Küfer, führte das Geschäft seines Vaters (und man munkelte, dass der Wechsel nicht so recht vom Vater gewollt worden war). Marie und Ilona, zwei Mädels - nein, Frauen waren sie nun -, mit denen er aufgewachsen war, hatten das Schneiderhandwerk erlernt.

Kurzum, das Leben in Fanada war weitergegangen. Vanions Rücken schmerzte - er hatte mit einer Sense hohes Gras von einem brachliegenden Acker geschnitten. Als er sich aufrichtete und den Rücken durchdrückte fiel sein Blick in die Nachmittagssonne. Geblendet hob er die Hand, dann wandte er sich ab, wischte sich über die verschwitzte Stirn und machte sich auf den Weg nach Hause.
Auf dem Innenhof des kleinen Gehöfts sah er seine Tochter, die grade Marie das leben schwer machte. Rasch hob er das stürmische Kind auf seinen Arm und drehte sich mit ihr. Das Lachen der beiden schallte über den Hof, und aus der Küche roch es verführerisch nach Braten.
Als Marie ihn anlächelte, erwiderte er es, ohne eine Spur von Sorge. Hier herrschte Frieden.

Nach einem ausgiebigen Abendessen begab sich Vanion in seiner Kammer. Das Tagewerk war vollbracht, und er war müde. Kurz verweilten seine Gedanken bei denen, mit denen er die letzten Jahre verbracht hatte. Anfangs hatte er sich Vorwürfe gemacht, doch je länger er hier war, desto richtiger erschien ihm seine Entscheidung. Dennoch zündete er eine kleine, dicke Kerze an und sandte ein Gebet zu den Göttern. Er bat um Beistand und Schutz für seine Freunde, und er bat um Gnade und Einsicht für Savaric. Kurz danach schlief er ein.

« Letzte Änderung: 22. Jun 15, 11:53 von Vanion »
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